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Governance in der Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“: Wer steuerte was wohin?

Die vorliegende Studie analysiert explorativ die Governance – also die politische Steuerung – der Sonderinitiative »EINEWELT ohne Hunger« (SEWOH), welche von 2014 bis 2022 durch das BMZ realisiert wurde.

by Harry Hoffmann, Jörg Schindler | 2024-03-06

Governance in der Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“: Wer steuerte was wohin?

Die Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ (SEWOH) wurde von 2014 bis 2022 mit einem Budget von insgesamt rund 12,5 Mrd. € von Bundesminister Dr. Gerd Müller etabliert und vorangetrieben. Die Konzentration von jährlich 1,5 Mrd. € durch ein Land auf ein sektorales Thema war neu und auch im internationalen Vergleich einzigartig. Das vom BMZ finanzierte Forschungsprojekt „Zur Governance der Transformation von Agrar- und Ernährungssystemen - Eine politische Analyse der Sonderinitiative »EINEWELT ohne Hunger« (SEWOH)“ befasst sich im Rahmen einer explorativen qualitativen Studie mit der Frage, wie ein derart großvolumiges politisches Vorhaben gesteuert und implementiert wurde. Hierzu wurden insgesamt 18 Experteninterviews mit politischen Entscheidern geführt, welche anschließend ausgewertet und analysiert wurden. Die Ergebnisse werden im Folgenden geclustert in die Themenbereiche Die SEWOH als politischen Prozess, Aufbau und Funktion der Sonderinitiative, Governance der SEWOH und Weitere Lehren aus der SEWOH dargestellt. Abschließend wird resümiert und Handlungsoptionen abgeleitet. 

Die SEWOH als politischer Prozess

Die SEWOH setzte die vernachlässigten Themen Hungerbekämpfung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zurück auf die nationale und internationale Agenda. Ein Grund für diesen Fokus war, dass der Minister das Thema aus seiner Zeit als Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium mitbrachte, ein anderer, dass er sich auch als „Sohn eines Kleinbauern“[1] verstand, deren Unterstützung ihm am Herzen lag. Die SEWOH war eine Minister-Initiative und wurde von Dr. Gerd Müller innenpolitisch sehr erfolgreich implementiert. Hierfür wurden breit deutsche Akteure und Akteursgruppen – klassische wie neue – in die Initiative eingebunden, deren Spektrum von kirchlichen Organisationen bis zu Landmaschinenproduzenten reichte. Was allerdings fehlte, war eine politische Gesamtstrategie. Die Defizite bei der politischen Steuerung gingen einher mit einem Fokus auf einzelne Programme und Projekte auf der Mikroebene. Dabei stand die Durchführung von Aktionen im Mittelpunkt - Alexander Müller, Geschäftsführer von TMG Research.

Aufbau und Funktion der Sonderinitiative

Die SEWOH war als Sonderinitiative aufgebaut, für die ein eigener Haushaltstitel geschaffen wurde. Dieser umfasste rund 500 Mio. € jährlich. Zusammen mit der sogenannten Basismilliarde, den in den Regionalbereichen bereits für Ernährungssicherung und Landwirtschaft eingeplanten Mitteln, bestand der SEWOH-Etat des BMZ aus jährlich rund 1,5 Mrd. €. Die Ausweisung einer Sonderinitiative war ein neuer politischer Ansatz, der eine starke thematische Fokussierung mit großen inhaltlichen Gestaltungsspielräumen ermöglichte. Beraten wurde die SEWOH von einem „Strategischen Begleitkreis“ (StBK), einem Kreis kompetenter Freiwilliger, die an einem gemeinsamen Thema engagiert arbeiten - Julia Harnal, BASF - de facto besteht diese Runde aus Vertreter*innen der in die SEWOH eingebundenen Organisationen. Bemerkenswert am StBK ist, dass seine Beiträge im BMZ auch auf politischen Entscheidungsebenen aufgegriffen wurden. Ob der StBK deshalb als ein Governance-Instrument der SEWOH bezeichnet werden kann, ist aufgrund der fehlenden Rechenschaftspflicht des StBK umstritten. 

Governance der SEWOH

BMZ-intern stellte der sektorale Ansatz der SEWOH eine Herausforderung für die etablierten Strukturen dar. Traditionell beraten sektorale Einheiten die Hausleitung, während die politische Gestaltungsmacht bei den regionalen Strukturen liegt. Die SEWOH änderte dies grundlegend, da der sektorale Bereich nun erstmals über substanzielle eigene Mittel verfügte. Dies führte zu einem hausinternen Ringen um Verantwortlichkeiten, Gestaltungshoheit und Budgets. Im Ergebnis wirkte die SEWOH in den Partnerländern oftmals wie ein Raumschiff […], das in den einzelnen Ländern landete und dann irgendwo ganz viel Geld abwarf - Hendrik Denker, BMZ - ohne, dass die entsprechenden Projekte und Programme an die bestehenden regionalen Strukturen gekoppelt waren. Diese internen Friktionen wurden, obwohl es Versuche gab, niemals wirklich überwunden - de facto bleiben sie bis heute ungelöst. 

Trotz dieser Friktionen im „Innenleben“ der SEWOH war die Initiative beim Agenda-Setting auf globaler Ebene erfolgreich. Herausragend sind die beiden G7-Treffen in Elmau 2015 und 2022, in deren Abschlusskommuniqués die globale Hungerbekämpfung prominent vertreten war. Ein maßgebliches Beispiel hierfür war die Ankündigung 500 Mio. Menschen bis 2030 von Hunger und Unterernährung zu befreien (Elmau-Committment). Auch auf europäischer Ebene und bezüglich G20 war die SEWOH richtungsweisend. 

Das deutsche Engagement im Rahmen der SEWOH wurde vor allem über den Einsatz finanzieller Mittel vorangetrieben, eine Optimierung der entsprechenden Politikprozesse wurde weder angestrebt noch ernsthaft versucht: Die SEWOH war nicht politisch-transformativ. Dies wurde zunehmend zum Problem, da spätestens mit dem Beginn der Vorbereitungen zum United Nations Food System Summit (UN FSS) 2021 die politische Steuerung der Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme in den Fokus rückte. Im Ausland wurde die SEWOH primär als eine deutsche Initiative gelesen, weshalb eine wirkliche Breitenwirkung, eine Bereitschaft der globalen Geber massiv in Hungerbekämpfung zu investieren, nur unzureichend gelang. Zudem fehlte die politische Steuerung, denn um eine Führungsrolle einzunehmen, braucht man eine Strategie - Michael Windfuhr, Deutsches Institut für Menschenrechte. Aus diesem Grund ist es auch in den Partnerländern nur unzureichend gelungen einen politischen Aufbruch in der Landwirtschaftspolitik zu initiieren - Dr. Stefan Schmitz, Crop Trust – die SEWOH-spezifischen Themen hätten hierfür stärker in den politischen Dialog mit den Partnerländern aufgenommen werden müssen. 

Um nachhaltigen Erfolg zu erreichen, wäre auch mehr Politikkohärenz in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährungssicherung, zwischen den deutschen Ministerien, vonnöten gewesen. Abschließend wurde festgestellt, dass das BMZ mehr freie Kapazitäten bräuchte, um globale politische Prozesse aktiv begleiten zu können. 

Fazit und Ausblick

Die SEWOH war vor allem innenpolitisch ausgerichtet und erreichte, trotz erheblicher finanzieller Mittel, nur ein begrenztes internationales Agenda-Setting. Andere Geber konnten nur bedingt überzeugt werden, ähnliche Zugeständnisse zu machen. Die Einbindung breiter Akteurskonstellationen in Deutschland war ein wesentliches Charakteristikum. Die SEWOH fokussierte sich dabei vor allem auf Projekte und Programme. Die strategische Mitgestaltung globaler Politikprozesse spielte eine untergeordnete Rolle. Ungelöste Konkurrenzen zwischen sektoralen und regionalen Strukturen führten zu Friktionen im BMZ und in dessen Vorfeldorganisationen GIZ und KfW. Auch aus diesem Grund wurde die SEWOH in den Partnerländern nicht als politische Initiative wahrgenommen. Mit den Resultaten des UN-FSS-Prozesses wurde es für die SEWOH notwendig, politisch auf nationaler Ebene in den Partnerländern zu agieren, um die Umsetzung der sogenannten National Pathways zu unterstützen. Auf die Kritik an der unzureichenden strategischen Ausrichtung der SEWOH reagierte das BMZ seit Amtsantritt von Bundesministerin Svenja Schulze mit einer Multilateralisierungsstrategie, wobei noch zu prüfen ist, ob diese in den Partnerländern zu den angestrebten Erfolgen führen wird. 

Die Polykrise und die sich abzeichnende multipolare Weltordnung (Age of choice[2]) haben die Erreichung von SDG 2 in weite Ferne rücken lassen, weshalb ein „Weiter so“ keine Option darstellt. Es kann in der Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr darum gehen in begrenzten Projekten Evidenz zu schaffen und dann einen Wandel auf höheren Skalen anzustreben; es muss darum gehen, strategisch die Transformation der politischen Rahmenbedingungen in den Partnerländern so zu unterstützen, dass nachhaltiger Wandel möglich ist und forciert wird. Hierbei steht das BMZ vor der Herausforderung, die häufig auf lokaler oder regionaler Ebene implementierten, umfangreichen Investitionen der SEWOH im Rahmen einer strategischen Unterstützung auf nationaler Ebene nachträglich in Wert zu setzen – und dies bei tendenziell rückläufigen Mitteln [3]. 

Die Governance der Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme ist ein politischer Prozess. Wie aber kann eine politischere Unterstützung der Partnerländer aussehen, die im Idealfall mehr Wirkung bei vermindertem Ressourceneinsatz erreicht? In einem ersten Schritt gilt es, die veränderten Rahmenbedingungen besser zu verstehen. Grundlage dafür ist ein, von Vertrauen und Glaubwürdigkeit geprägter, Dialog mit relevanten Partnern des globalen Südens. Dafür müssen geeignete Formate, auch im geschützten Raum, geschaffen werden. Hinzu kommt die Notwendigkeit der Überwindung der fachlichen Silos, als Voraussetzung eines systemischen Handelns im Rahmen der Transformation von Ernährungssystemen. Auch Zeit ist ein wichtiger Faktor: Vertrauen und Glaubwürdigkeit wachsen langsam. Intensives Zuhören, offene politische Diskurse, neues Denken und langfristige Investitionen in politische Prozesse sind mögliche Ansätze. 

Referenzen

[1] „Groß ist in Afrika nicht die Lösung“. Accessed 10 Oct 2023

[2] Prizzon A, Greenhill R, Mustapha S (2016) An ageofchoicefordevelopmentfinance. Overseas Development Institute, London, UK

[3] BDI (2024) Zeit für eine entwicklungspolitische Zeitenwende: Strategisch – Nachhaltig – Innovativ. Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Berlin, Germany

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